Alternativ:
Mobilversion
Homepage
Spiele wie Memory
Ausgangslage
Die Globalisierung ist am Ende. Der Angriffskrieg Putins auf die
Ukraine und Putins Instrumentalisierung der Handelsbeziehungen
haben deutlich gemacht, dass Investitionen in und Handel mit
anderen Staaten für demokratische und rechtsstaatliche Länder nur vertretbar sind, wenn die Investitionen und
der Handel und die daraus resultierenden finanziellen Mittel und
der eventuell ebenfalls daraus resultierende Technologietransfer
nicht von Diktatoren oder sonstigen Machthabern dazu genutzt
werden können, Demokratien durch Desinformation u. a. in den
sogenannten sozialen Medien, durch Cyberangriffe, durch
wirtschaftlichen oder militärischen Druck, durch Vertragsbrüche oder durch militärische Maßnahmen wie den
Angriffskrieg gegen die Ukraine zu destabilisieren bzw. zu
zerstören. Man sollte seinen Feinden nicht den Strick liefern,
mit dem sie einen hängen wollen, und ihnen auch kein Geld geben,
mit dem sie dann anderswo einen Strick kaufen können. Wandel
durch Handel – den auch der Autor dieser Zeilen lange Zeit
durchaus für möglich hielt – hat offenbar keine Chance, wenn der
Diktator bzw. das diktatorische Regime erstens den
Lebensstandard der Bevölkerung halbwegs halten oder sogar
steigern kann, wenn er zweitens weitgehende oder sogar völlige
Kontrolle darüber hat, welche Informationen oder Desinformation die
Bevölkerung erhält, und wenn er drittens sich auf Geheimdienste, Polizei
und Militär verlassen kann, was in der Regel so lange der Fall
ist, wie er sie hinreichend gut bezahlen kann. Zusammenarbeit
mit Diktaturen auf bestimmten Gebieten wird trotzdem weiterhin unumgänglich sein bzw. im
gegenseitigen Interesse angestrebt werden müssen, u. a.
beim Klima-, Umwelt- und Naturschutz.
Die Globalisierung hat durchaus Erfolge vorzuweisen. Sie hat
durch Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern dort
den Lebensstandard erhöht und zugleich viele Produkte für die
Konsument*innen in den Industrieländern billiger oder überhaupt
erst erschwinglich gemacht. Allerdings war und ist es um Klima-,
Umwelt-, Natur- und Arbeitsschutz sowie um die Rechte und die
Bezahlung der Beschäftigten in den Entwicklungs- und
Schwellenländern meistens schlecht bestellt. In den
Industrieländern wiederum sind durch die Verlagerung von
Arbeitsplätzen in die Entwicklungs- und Schwellenländer gut bezahlte Industriearbeitsplätze weggefallen. Dass viele der
Konsumgüter, die er kaufen möchte oder muss, durch die
Globalisierung billiger geworden sind, ist für einen Menschen,
der durch die Globalisierung seinen Arbeitsplatz verloren hat
oder mit immer weniger Geld auskommen muss, weil in seiner
Gegend oder auf seinem Berufsfeld einige wenige große Konzerne den Arbeitsmarkt dominieren und die
Löhne diktieren, kein großer Trost.
Durch Maßnahmen wie ein wirksames Lieferkettengesetz oder durch
internationale Verträge bezüglich Klima-, Umwelt-, Natur- und
Arbeitsschutz sowie Arbeitnehmerrechten und
Unternehmensbesteuerung ließen sich die Nachteile der
Globalisierung wahrscheinlich im Prinzip in den Griff bekommen,
aber Verträge nützen natürlich nichts, wenn ein Vertragspartner
oder mehrere Vertragspartner sich nicht daran halten und/oder
die durch die Globalisierung erlangten Vorteile dazu verwenden, den
anderen Vertrags- und Handelspartnern verdeckt oder offen zu
schaden – bis hin zur Zerstörung des Staates oder zur Umwandlung
von Demokratien in Diktaturen mit Machthabern von Putins oder Xi
Jinpings Gnaden.
Was ist zu tun? Politik gegenüber Diktaturen
Um Putin von weiteren Angriffskriegen abzuhalten
und Xi Jinping vor einem Angriff auf Taiwan oder andere Staaten zu
warnen, ist es erforderlich, Putin und sonstigen Machthabern die Mittel zu
nehmen bzw. nicht mehr zu geben, die sie dann zur
Destabilisierung oder Zerstörung rechtsstaatlicher liberaler
Demokratien einsetzen können. Wenn trotz der gegensätzlichen
politischen Systeme weiterhin wirtschaftliche Zusammenarbeit
stattfinden soll, muss vertraglich gewährleistet und
kontinuierlich kontrolliert werden, dass die durch Handel und
Investitionen erlangten Mittel nicht zur Schädigung der
demokratischen Staaten verwendet werden, also etwa – wie
seitens des Putin-Regimes geschehen – zur Desinformation über die
sogenannten sozialen Medien, zu Cyberangriffen, zu Morden im
Ausland, zur Hochrüstung der Armee und zur Vorbereitung und
Durchführung von
Angriffskriegen. Zu überlegen ist, ob auch humanitäre
Mindeststandards im Inland zu den Voraussetzungen für Handel und
Investitionen gehören sollen. Die bisherige Praxis, dass
Menschenrechtsverletzungen bei Gesprächen mit Politiker*innen
aus Russland, China und anderen Diktaturen oder auch "nur"
Halbdiktaturen zwar erwähnt werden,
aber diese Erwähnungen keine humanitären Verbesserungen
bewirken, ist jedenfalls unbefriedigend. Falls die betreffenden
Staaten bzw. deren Regime nicht bereit sind, ihr feindliches und
verbrecherisches Verhalten zu ändern,
sollten die demokratischen Staaten die wirtschaftliche
Zusammenarbeit mit ihnen sobald als möglich beenden. Die
Umstellung auf erneuerbare Energien, die Einsparung von Energie
und Rohstoffen, eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit
mit stabilen demokratischen und liberalen Staaten sowie der
soweit als mögliche Umbau unserer Wegwerfwirtschaft zu einer
Kreislaufwirtschaft können helfen, dieses Ziel zu erreichen.
Aber auch dann, wenn die Zusammenarbeit nicht beendet werden
muss, ist darauf zu achten, dass die Demokratien sich nicht von
Diktaturen abhängig machen, weil sie allzu große Mengen
lebenswichtiger Güter nur aus Diktaturen oder sogar nur aus
einer einzigen Diktatur beziehen. Das gilt nicht nur für
Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle, sondern auch für
lebenswichtige Fertig- und Halbfertigprodukte. Schließlich kann
ein Diktator jederzeit sein Verhalten ändern. Bei demokratischen
Staaten, aus denen lebenswichtige Güter importiert werden, ist
zu fragen, ob sie von anderen Staaten militärisch bedroht werden
und ob im Kriegsfall Lieferungen ausblieben. Wer aus Taiwan oder
Südkorea wichtige Güter bezieht, sollte sich also zumindest
einen hinreichend großen Vorrat zulegen. Zugleich muss immer
wieder neu überlegt werden, ob die bisherigen Maßnahmen
ausreichen, um – bei diesen Staaten – China bzw. Nordkorea von
einem Angriff abzuhalten.
Trotz der negativen Erfahrungen mit Putin und anderen
Machthabern ist es aber im Allgemeinen nicht ratsam, zu
versuchen, den Diktator mit militärischen Mitteln zu stürzen. Bei Atommächten wie Russland oder Nordkorea verbietet sich ein
Versuch sowieso, aber auch bei Staaten, deren Machthaber keine
Atomwaffen besitzt und die militärisch relativ schwach sind, ist
ein Umsturzversuch nur dann sinnvoll, wenn es eine deutliche
Bevölkerungsmehrheit gibt, die demokratisch gesonnen und fähig
ist, auch nach dem Abzug der Befreier*innen die Demokratie zu
bewahren. Wenn dagegen zu befürchten ist, dass die Mehrheit der
Bevölkerung nach der Befreiung vom Diktator oder vom
diktatorischen Regime umgehend Parteien und Politiker*innen
wählt, die die nächste Diktatur installieren, kann man in der
Regel auch den bisherigen Diktator an der Macht belassen. Die
Entwicklungen nach den Interventionen im Irak, in Afghanistan
und in Libyen sowie die Resultate des "Arabischen Frühlings"
zeigen deutlich, dass die Voraussetzungen für stabile
Demokratien in vielen Ländern bislang nicht gegeben sind.
Sehr wohl ratsam ist es dagegen, dabei zu helfen, die Truppen
eines Diktators aus einem von ihm angegriffenen Land wieder zu
vertreiben, wenn die Armee und/oder die Bevölkerung dieses
Landes bereit sind, die Freiheit zu verteidigen. Eine solche
Unterstützung ist nicht nur an sich ehrenvoll, sondern –
hoffentlich und wenn sie erfolgreich ist – darüber hinaus
geeignet, weitere Angriffskriege zu verhindern.
Was ist zu tun? Politik zur Verhinderung von Diktaturen
Die Neigung, "starke" Männer und reaktionäre Parteien zu wählen, von denen man sich
Sicherheit in militärischer, politischer, wirtschaftlicher und
auch kultureller Hinsicht verspricht, die aber nach einem
Wahlsieg alsbald beginnen, Presse und Justiz unter ihren
Einfluss zu bringen, eventuell auch noch das Wahlrecht und/oder
die Verfassung zu ändern und sich so – trotz weiterhin
stattfindender, aber eben nicht mehr fairer Wahlen – die
Herrschaft auf Dauer zu sichern, war und ist freilich nicht auf
Russland beschränkt, sondern bei mehr oder weniger großen Teilen
der Bevölkerung in fast allen Staaten zu beobachten, auch in
Deutschland. Sehr deutlich ist der Verlust von
Rechtsstaatlichkeit sowie von Vielfalt und Freiheit der Presse in –
um nur EU-Mitglieder zu nennen – Polen und Ungarn. Dass
Viktor
Orbán in Ungarn die Wahl am 3.4.2022 erneut gewonnen hat, ist
nicht verwunderlich, da er nicht nur die staatlichen Medien
beherrscht, sondern faktisch auch die beliebten nichtstaatlichen Medien,
die sich weitgehend im Besitz von Orbán-freundlichen
Unternehmern befinden.
Um die Vielfalt und Freiheit der Presse ist es in Ungarn so
schlecht bestellt, dass von fairen Wahlen nicht mehr die Rede
sein kann, weil die Opposition kaum noch Möglichkeiten hat,
gesehen und/oder gehört zu werden.
In Polen ist die Lage ähnlich.
Ungarn und
Polen sind keine funktionierenden Demokratien und
Rechtsstaaten mehr.
Die EU hat es versäumt, wirksame Vorkehrungen für den Fall zu treffen,
dass Mitgliedstaaten zu Diktaturen oder Halbdiktaturen werden
bzw. zu werden drohen. Der
EU-Rechtsstaatsmechanismus und das Artikel-7-Verfahren
können solche Umwandlungen zwar im Prinzip sanktionieren, aber
nicht verhindern. Und die Hürden für eine Sanktionierung sind so
hoch, dass Polen und Ungarn kaum sanktioniert werden können.
Notwendig wären klare und in allen EU-Staaten
übereinstimmende demokratische und rechtsstaatliche
Grundstandards und Grundwerte, die nicht von einzelnen Staaten
verändert und ausgehebelt werden dürfen. Solche Regeln müssten
auch die Vielfalt und Freiheit der Medien betreffen und
verhindern, dass die Bürger*innen eines Landes kaum oder gar
keine Möglichkeiten haben, andere als der Regierung genehme oder
von ihr selbst produzierte Nachrichten zu erhalten. Allerdings
kann die EU solche Standards, Werte und Regeln wohl nicht
definieren und durchsetzen, solange sowohl in Polen als auch in Ungarn freiheits-
und rechtsstaatsfeindliche Regierungen und Parlamente herrschen.
Aber selbst, wenn unterschiedliche und unabhängige
Informationsquellen zur Verfügung stehen, ist nicht garantiert,
dass diese auch genutzt werden und dass die seriösen
Informationen auch die Anhänger von Lügnern wie Donald Trump
oder Wladimir Putin überzeugen. Möglicherweise überwiegt der Wunsch
nach einem "starken" Führer und nach Akzeptanz in einer
Gemeinschaft Gleichgesinnter den Willen zur Wahrheit.
Kurz-, mittel- und langfristig wirksame Maßnahmen gegen
populistische Wähler*innenfängerei – Förderung insbesondere der
politischen Bildung und der Herzensbildung von der Kita an,
Sicherung/Steigerung des Einkommens insbesondere der nicht so
wohlhabenden Bürger*innen, Sicherung von Arbeitsplätzen bzw.
Schaffung neuer, zukunftsträchtiger Arbeitsplätze, Schutz vor
Einbrechern, Gewalttätern und Betrügern bzw. häufigere
Aufklärung solcher Straftaten, konsequente Verfolgung und
Bestrafung von Hass, Hetze, Beleidigungen, Verleumdungen und
politischen Lügen auch und gerade im Internet – habe ich bereits
in früheren Texten – insbesondere in
Was tun gegen
Populisten? – skizziert. Aber vielleicht reicht das alles
nicht aus und Staat und Gesellschaft müssen sich viel intensiver
und professioneller bemühen, jene Menschen für
menschenfreundliche Gemeinschaften zu gewinnen, die andernfalls
aus Frust, Einsamkeit oder aufgrund welcher negativer
Erfahrungen auch immer in menschenfeindliche Gemeinschaften etwa
in den sogenannten sozialen Medien abzudriften drohen.
Entstehungszeit: April 2022
nach oben
|