Vorschläge für eine Reform der Pflegeversicherung

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Ausgangslage

Die Pflegeversicherung gehört zusammen mit der Krankenversicherung, der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe zu den Grundpfeilern der sozialen Sicherung in Deutschland. Allerdings wurde die Pflegeversicherung ihrer Aufgabe, die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen wenigstens vor den finanziellen Folgen von Pflegebedürftigkeit weitgehend zu bewahren, von Anfang an meistens nicht gerecht und wird es immer seltener und weniger. Während bei Krankheit die notwendigen Maßnahmen einschließlich des Pflegeaufwandes bei Krankenhausaufenthalten in der Regel voll von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden, ist das bei Pflegebedürftigen nicht der Fall: Vielmehr wird lediglich eine Pauschale je nach Pflegegrad gezahlt, die in der Regel nicht die tatsächlichen Pflegekosten abdeckt, so dass – anders als im Krankheitsfall – die Pflegebedürftigen und/oder ihre Angehörigen oder das Sozialamt Geld zuschießen müssen. Zumindest bezüglich der Partnerin / des Partners kann dieser Betrag bei entsprechend hohen Pflegekosten so hoch sein, dass die zahlungspflichtige Partnerin / der zahlungspflichtige Partner selbst darüber arm wird und ihr/ihm von ihrer/seiner Rente – die meisten Pflegebedürftigen werden erst im Alter zum Pflegefall, wenn sowohl sie selbst als auch ihre Partnerin / ihr Partner bereits Rente beziehen – kaum mehr als der Sozialhilfesatz, konkret 880 Euro (Januar 2019), als Selbstbehalt bleibt.

Die monatlichen Kosten für einen Pflegeheimplatz (Pflegekosten, Unterbringung und Verpflegung, Investitionskosten, eventuell Ausbildungsumlage) liegen derzeit in Deutschland im Durchschnitt bei ca. 3.300 Euro, in NRW sogar bei ca. 4.000 Euro. Auch wenn man davon den Zuschuss der Pflegekasse in Höhe von maximal 2.000 Euro bei einem Härtefall abzieht, hat die Partnerin / der Partner in der Regel einen Betrag zu zahlen, der das eigene Einkommen (Standardrente: 1.441 Euro brutto, tatsächliche Durchschnittsrente brutto: ca. 900 Euro) in der Regel weit übersteigt und auch eventuell vorhandenes Vermögen relativ rasch, nämlich bei der Mehrzahl der Haushalte innerhalb weniger Jahre, aufzehrt. Die Folge ist, dass derzeit schon bei ungefähr der Hälfte der Heimbewohner das Sozialamt einspringen muss – und dieser Anteil wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ohne eine grundlegende Änderung der Pflegeversicherung noch drastisch erhöhen.

Einkommens- und Vermögensschutz / Pflegezusatzversicherung / Erbschaftsteuer

Ich will nicht verschweigen, dass dieser Text auch von persönlichen Befürchtungen motiviert ist. Mein Mann – früher Krankenpfleger, inzwischen Rentner – und meine Wenigkeit – Angestellter im öffentlichen Dienst des Landes NRW – werden nach meiner Verrentung gemeinsam finanziell vermutlich akzeptabel über die Runden kommen, falls nicht z. B. eine Hyperinflation eintritt oder die Mieten explodieren, aber die Kosten für einen Heimaufenthalt, der nötig würde, wenn einer von uns pflegebedürftig werden sollte, würden wir nicht aus den laufenden Renteneinnahmen inklusive Betriebsrenten finanzieren können, und zwar selbst dann nicht, wenn wir die laufenden Kosten durch einen Umzug von einer für zwei Personen größenmäßig angemessenen Mietwohnung in eine kleinere, für eine Einzelperson ausreichende und (hoffentlich) entsprechend preiswertere Wohnung sowie durch Abschaffung des Autos reduzieren würden und könnten. Wir müssten also nach und nach unsere Ersparnisse zur Finanzierung des Pflegeheimplatzes aufbrauchen und wären nach wenigen Jahren beide auf Sozialhilfe angewiesen. Nach jahrzehntelangen Beitragszahlungen in die Renten- und in die Pflegekasse stünden wir faktisch als Almosenempfänger ohne jeden finanziellen Spielraum dar. Das ist für uns – und wahrscheinlich auch für viele weitere Menschen mit mittlerem Einkommen – eine ziemlich beunruhigende Perspektive.

Nun kann man einwenden, dass wir mit einer privaten Pflegezusatzversicherung hätten vorsorgen können. Es gibt schließlich auch den sogenannten Pflege-Bahr; von entsprechenden Verträgen rät freilich nicht nur die Stiftung Warentest ab. Außerdem haben die Pflegezusatzversicherungen alle jene Nachteile, die die sogenannte Riester-Rente zum teuren Flop haben werden lassen, nämlich die Unübersichtlichkeit des Angebotes, die Unsicherheit hinsichtlich der Entwicklung des Kapitalmarktes, die professionelle Habgier und Täuschungsbereitschaft der Versicherungsunternehmen und -vertreter, die Tatsache, dass man in jungen Jahren gewöhnlich noch nicht an die Rente oder gar an die finanzielle Absicherung im Pflegefall denkt, sowie die Tatsache, dass etliche Menschen so wenig Geld verdienen, dass sie davon nichts für eine solche Versicherung ausgeben möchten und/oder können. Hinzu kommt, dass sich bei einer privaten Pflegezusatzversicherung der schon beim Abschluss in der Regel ziemlich hohe Beitrag im Laufe der Jahre weiter erhöht, ohne dass die Erhöhungen auch nur annähernd exakt vorhersagbar oder irgendwie beeinflussbar wären. Und wenn man erst im mittleren Alter eine private Pflegezusatzversicherung abschließt, sind die Beiträge natürlich noch viel höher.

Kurzum: Eine private Pflegezusatzversicherung mag für die Versicherungsunternehmen und -vertreter lukrativ sein, passt aber nicht zu den Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten vieler Menschen. Ein Ausbau der gesetzlichen Pflegeversicherung, die derzeit nur eine Teilversicherung ist, zu einer die Kosten der Pflege vollständig abdeckenden Vollversicherung wäre für alle Menschen, die einerseits so viel Rente erhalten, dass sie nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind, aber andererseits so wenig an Einkommen haben und hatten, dass sie die Pflegekosten nicht aus den laufenden Einnahmen und auch nicht über Jahre hinweg aus ihren Ersparnissen bestreiten können, meines Erachtens zweifellos die bessere, nämlich einfachere und preiswertere Lösung als eine private Pflegezusatzversicherung.

Ein gern gegen eine gesetzliche Pflegevollversicherung vorgebrachtes Argument ist schließlich, dass eine solche vor allem den Erb(inn)en vermögender Senior(inn)en nützen würde, weil sie das Vermögen der pflegebedürftigen Senior(inn)en und ihrer Partner(innen) schützen würde. Tatsächlich aber würde eine gesetzliche Pflegevollversicherung vor allem der/dem Pflegebedürftigen selbst und der Partnerin oder dem Partner helfen, nämlich nicht zu verarmen und im Elend zu enden – denn ein menschenwürdiges Leben garantiert die Sozialhilfe in Deutschland bekanntlich nicht. Die Abschöpfung des Vermögens von Senior(inn)en sollte meines Erachtens nicht bereits zu deren Lebzeiten durch in die Sozialhilfe führende Pflegekosten erfolgen, sondern im Erbschaftsfall durch eine angemessen hohe Erbschaftsteuer. Vorschläge für eine vernunftgemäße Gestaltung der Erbschaftsteuer, insbesondere zur Begleichung der Steuerschuld mit Sachwerten, z. B. Mietshäusern, oder Aktien oder sonstigen Unternehmensbeteiligungen, die dem Staat / den Ländern zwar keine kurzfristigen, aber dafür kontinuierliche und langfristige Einnahmen ermöglichen, habe ich bereits in Marktmacht und Staatsmacht, Gemeinwohl statt Egoismus! und Vorschläge für ein besseres Steuersystem skizziert.

Finanzierung einer gesetzlichen Pflegevollversicherung

Grundsätzlich sollte meines Erachtens die gesetzliche Pflegeversicherung auf eine möglichst breite Basis gestellt werden und von allen Einkünften – also nicht nur vom Arbeitslohn, sondern auch von Einkünften aus Vermögen – sowie von allen Bürger(inne)n – also nicht nur von Arbeitnehmern, sondern auch von Beamten, Pensionären, Rentnern, Freiberuflern, Unternehmern etc. – ohne Beitragsbemessungsgrenze erhoben werden. Wenn das nicht reicht, könnte man den Rest aus dem Steuernaufkommen zuschießen – oder aber, wie bei anderen Gemeinschaftsaufgaben auch, die Pflege gleich ganz aus Steuermitteln bezahlen und die Steuern entsprechend erhöhen. Im Prinzip stehen die gleichen Finanzierungsquellen zur Verfügung, die ich in den Texten Die Rente sichern! und Tipps zur Gesundung des Gesundheitssystems genannt habe.

Sollte es trotz allem nötig sein, auch die Pflegebedürftigen selbst – über einen angemessenen Beitrag zu den Essens- und Unterkunftskosten hinaus – und die Partnerin / den Partner an den Pflegekosten zu beteiligen, sollten meines Erachtens zumindest der Selbstbehalt und das Schonvermögen der Partnerin / des Partners deutlich erhöht werden. Ein monatlicher Selbstbehalt, der nur knapp über der Sozialhilfe liegt, und ein Schonvermögen, das lediglich die Bestattungskosten abdeckt, sind meiner Meinung nach unzureichend und werden von der- oder demjenigen, die oder der jahrzehntelang in die Renten- und Pflegekasse eingezahlt hat und nun bis zur eigenen völligen Verarmung individuell für die Kosten des allgemeinen Lebensrisikos der Pflegebedürftigkeit aufkommen soll, zu Recht als eine Art von Enteignung empfunden. Meiner Meinung sollte eine solche Selbstbeteiligung an den Pflegekosten in Korrespondenz zu den Regelungen bezüglich des allgemeinen Lebensrisikos der Erkrankung aber auch gar nicht nötig sein: Schließlich zahlen die gesetzlichen Krankenkassen für teure Operationen oder bei langwierigen oder sogar lebenslangen, unheilbaren Krankheiten zum Teil Summen, die weit über die Kosten selbst einer jahrzehntelangen Pflegebedürftigkeit hinausgehen – und zwar weitestgehend ohne Selbstbeteiligung.

Qualität der Pflege / Pflegeheime

Problematisch ist derzeit allerdings nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Qualität der Pflege. Dass Pflegebedürftige in Heimen mitunter lange warten müssen, bevor sie z. B. von der Toilette zurückgebracht werden, dass Demenzkranke ohne medizinische Notwendigkeit mit Medikamenten bis zur Apathie ruhiggestellt werden, dass Bettlägerige wundliegen, weil sie nicht oft genug umgelagert und bewegt werden, dass Medikamente vertauscht oder falsch dosiert werden, dass angeblich erbrachte und protokollierte Leistungen wie Waschen, Duschen oder Zahnreinigung tatsächlich nicht erbracht werden, dass Magensonden gelegt werden, weil man sich das Anreichen der Mahlzeiten ersparen will bzw. keine Zeit dafür hat, dass Pflegebedürftige sogar eingeschüchtert und bedroht werden, wenn sie nicht hinreichend pflegeleicht sind, das alles ist bekannt und in der Regel nicht auf Böswilligkeit oder Unfähigkeit der Pflegenden zurückzuführen, sondern im Wesentlichen auf den Mangel an Pflegenden und die dadurch bedingte Überforderung der/des einzelnen Pflegenden.

Der Mangel an Pflegenden wiederum hat einerseits damit zu tun, dass die Alten- und die Krankenpflege typische Frauenberufe sind und Pflegende deshalb traditionell schlecht bezahlt werden, und zum anderen damit, dass inzwischen viele Pflegeheime und Krankenhäuser als gewinnorientierte Unternehmen geführt werden – und je weniger Personal eingesetzt wird, desto höher ist der Gewinn. Es ist bei den Pflegeheimen ähnlich wie bei den Krankenhäusern, bei denen es schon seit etlichen Jahren vielfach weniger um die medizinisch und menschlich sinnvollste als vielmehr um die für das Krankenhaus finanziell vorteilhafteste Behandlung der Patient(inn)en geht.

Es müsste also zum einen der Beruf der Altenpflegerin / des Altenpflegers attraktiver gemacht werden, nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht, und zum anderen dafür Sorge getragen werden, dass die Träger der Heime genug und qualifiziertes Pflegepersonal einstellen und nicht um des Profits willen zulasten der Pflegebedürftigen beim Pflegepersonal sparen. Notfalls muss ein hinreichender Personalschlüssel gesetzlich vorgeschrieben werden.

Darüber hinaus müssen die Eignung der Pflegenden und die Qualität der Pflege anhand des Zustands der Pflegebedürftigen und besonders der sehr hilfsbedürftigen und unselbständigen oder dementen Menschen unter den Pflegebedürftigen von externen Sachverständigen kontinuierlich überprüft werden, damit nicht insbesondere alleinstehende Pflegebedürftige sowie Pflegebedürftige, deren Angehörige weit entfernt wohnen oder selbst bereits betagt und/oder durchsetzungsschwach sind, eventuell unter Vernachlässigung und/oder Willkür leiden müssen.
 

Entstehungszeit: Januar 2019