Homophobie und Schwulenhass – Ursachen und Gegenmaßnahmen

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Obwohl sich die Lage der Schwulen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat, kann von einer problemlosen Integration in die Gesellschaft bislang nicht die Rede sein: Im Berufs- und Privatleben kann es immer noch erhebliche negative Konsequenzen haben, als schwul bekannt zu sein. Das gilt im Berufsleben insbesondere für klassische Männerberufe wie Handwerker, Soldat etc., aber auch in Büroberufen kann man wegen seines Schwulseins gemobbt und benachteiligt werden. So werden z. B. in der Wirtschaft Führungspositionen in der Regel nicht an offen schwul lebende Männer vergeben. Ferner können Mitarbeiter katholischer Einrichtungen, z. B. katholischer Krankenhäuser oder der Caritas, entlassen werden, wenn sie offen schwul leben. Schwierig ist die Lage auch für schwule Lehrer und Schüler: Sie müssen mit massiven negativen Reaktionen nicht nur der nichtschwulen pubertierenden Schüler, sondern sogar von Lehrerinnen und Lehrern sowie der Eltern rechnen, wenn ihr Schwulsein bekannt ist. Und selbst wenn Schwule sich aus Furcht vor Repressionen nicht als schwul outen, ist es für sie natürlich psychisch belastend, ihr Schwulsein zu verleugnen und sich Schwulenwitze oder sonstige abfällige Bemerkungen über Schwule anhören zu müssen.1

Insbesondere für schwule Jugendliche kann es sehr schwer sein, zum Schwulsein zu stehen: Einem offen schwulen Jugendlichen machen die Mitschüler das Leben oft zur Hölle. Das ist nicht nur an Haupt- und Sonderschulen der Fall, sondern häufig ebenso an Gymnasien, auch wenn dort körperliche Gewalt weniger verbreitet ist. Und selbst ein offen schwul lebender Erwachsener muss auch heute noch mit Anpöbelungen oder sogar mit körperlicher Gewalt vor allem seitens männlicher Jugendlicher und junger Männer rechnen – insbesondere ausländischer Jugendlicher / junger Männer, die aus Ländern mit strikt patriarchalischen Gesellschaftssystemen stammen, und solcher aus der Unterschicht, bei denen Männlichkeit und Macht im Sinne von im Kampf demonstrierter körperlicher Kraft und Überlegenheit noch immer hohe Werte darstellen und innerhalb ihrer Gruppe mit Respekt belohnt werden.

Woher kommen die Aversionen und Aggressionen gegen Schwule und was kann man dagegen tun?

Ursachen

Es gibt mehrere Ursachen von Homophobie und Schwulenhass. Eine wesentliche Ursache ist gewiss die generelle Angst des Menschen vor Fremdem und Unbekanntem und die Abneigung gegenüber Ansichten, Neigungen und Handlungen, die den eigenen Ansichten, Neigungen und Handlungen widersprechen. Zwar gibt es andererseits auch die Neugier auf andere Menschen und auf neue Erfahrungen, aber im Allgemeinen überwiegen gegenüber anders aussehenden oder sich anders verhaltenden Menschen zunächst Vorsicht, Angst und Ablehnung – und je weniger Schwule man persönlich kennt, desto größer ist gewöhnlich die Ablehnung. Allerdings hilft auch persönliches Kennenlernen / persönliche Bekanntschaft oft nichts, wenn jemand schwulenfeindliche gesellschaftliche oder religiöse Normen verinnerlicht hat und ihnen unreflektiert folgt – oder wenn ein Regime Schwule zu Sündenböcken stempelt: Auch die Juden hat im nationalsozialistischen Deutschland die Tatsache, dass praktisch jeder Nichtjude in Deutschland Juden kannte und deren Harmlosigkeit offensichtlich war, nicht vor Ausgrenzung, Drangsalierung und schließlich Ermordung bewahrt.

Mit gesellschaftlichen und religiösen Normen sind zwei weitere wichtige Ursachen für Homophobie und Schwulenhass benannt: schwulenfeindliche gesellschaftliche und religiöse Normen. Fast jeder Mensch wächst in einer Umgebung auf, in der heterosexuelles Verhalten die Norm ist. Heterosexuelles Verhalten ist dabei nicht nur in jenem Sinne die Norm, dass es das "normale", übliche Verhalten ist, sondern auch in jenem Sinne, dass es das gewünschte und gesellschaftlich gebilligte, "gute" Verhalten ist. Homosexuelles Verhalten dagegen gilt vielen Heterosexuellen immer noch als krankhaft oder pervers und "schlecht" oder "böse", weil es nicht dem Verhalten der überwiegenden Mehrheit und nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Häufig wird Homosexualität als "unnatürlich" betrachtet, obwohl sie in allen Kulturen und auch unter Naturvölkern vorkommt und sowohl homosexuelles Verhalten als auch langjährige schwule Partnerschaften inzwischen sogar unter Tieren vielfach beobachtet wurden. Richtig ist lediglich, dass der evolutionäre Sinn der Homosexualität noch umstritten ist.2

Bei der Einordnung als "unnatürlich" spielt sicherlich der von den christlichen Kirchen jahrtausendelang gepredigte Gedanke eine Rolle, dass Sexualität "eigentlich" nur der Fortpflanzung zu dienen habe und deshalb nur zwischen Mann und Frau statthaft und sinnvoll sei, obwohl jeder weiß, dass auch Mann und Frau in den meisten Fällen nicht deshalb miteinander schlafen, weil sie ein Kind haben wollen. Dass Homosexualität auch etwas mit Liebe zu tun haben kann, dürfte vielen Heterosexuellen, die kein schwules Paar persönlich kennen – und das ist wahrscheinlich immer noch die weit überwiegende Mehrheit – sowieso kaum bewusst sein.

Auch religiöse Normen können erheblich zu Homophobie und Schwulenhass beitragen: Zwar geht der gesellschaftliche Einfluss der christlichen Kirchen zurück, aber zur Verstärkung von Vorurteilen sind sie nach wie vor durchaus imstande. Während einige evangelische Kirchen homosexuelles Verhalten inzwischen nicht mehr als Sünde ansehen, lehnt die katholische Kirche jegliches homosexuelles Verhalten – ebenso wie Empfängnisverhütung – als schwere Sünde ab und trägt damit objektiv zur Schwulendiskriminierung bei.3

Noch schlimmer verhält es sich im Islam: Nach der traditionellen, allerdings nicht unumstrittenen Interpretation der aus dem Alten Testament übernommenen Lot-Geschichten im Koran sowie der Verse 15 und 16 der Sure 4 ist homosexuelles Verhalten ein Kapitalverbrechen.4 In islamisch dominierten Staaten wird homosexuelles Verhalten häufig mit dem Tode bestraft. Es kann deshalb kaum verwundern, wenn ein orthodox gläubiger Muslim schwulenfeindlich eingestellt ist, obwohl Homosexualität im Sinne von schwuler oder lesbischer Liebe an den betreffenden Stellen des Korans mit Sicherheit nicht gemeint und die Interpretation der Stellen insgesamt umstritten ist.

Exkurs: Probleme des Islams

Da Katholiken und Protestanten die Bibel nicht als wortwörtliche Offenbarung ihres Gottes ansehen und außerdem in Europa inzwischen eine lange Tradition der Religionskritik existiert, können Europäer oft kaum verstehen, dass Muslime den Koran trotz seiner eigentlich offensichtlichen historischen und kulturellen Bedingtheit – z. B. trotz der unmissverständlichen Aufrufe zur Täuschung, Bekämpfung und Ermordung von Nichtmuslimen, der Vorschriften zur massiven rechtlichen Benachteiligung der Frauen bis hin zur Ermächtigung der Ehemänner, ihre Ehefrauen zu schlagen und zu vergewaltigen, und trotz der archaischen Strafen wie Verstümmelung etc. – als wortwörtliche (!) und ewig gültige Offenbarung eines gerechten, barmherzigen und gnädigen Gottes ansehen. Unzweifelhaft widerspricht der Koran – jedenfalls in seiner traditionellen Interpretation und ohne Berücksichtigung seiner historischen und kulturellen Bedingtheit – an vielen Stellen dem Grundgesetz und den universalen Menschenrechten.5

Jeder orthodox gläubige Muslim in Deutschland ist folglich logischerweise ein mutmaßlicher Verfassungsfeind. Kritik eines Nichtmuslims am Islam oder an Mohammed soll laut Sure 5, Vers 33, orthodox islamisch interpretiert, von jedem Muslim mit der Ermordung des Kritikers "bestraft" werden.6 Demnach war z. B. der Mord an Theo van Gogh vom Koran gedeckt. Das bedeutet aber, dass der Islam in seiner bislang vorherrschenden Form mit Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Demokratie unvereinbar ist.

Für Nichtmuslime ist der Koran lediglich Ausdruck der religiösen und rechtlichen Vorstellungen des Religionsgründers Mohammed, der seinerseits Mitglied einer strikt patriarchalisch organisierten, kriegerischen Stammesgesellschaft im frühen Mittelalter war. Zudem enthält der Koran nachweislich zahlreiche Übernahmen aus damals bereits vorhandenen Religionen und Rechtslehren und zu etwa einem Fünftel schlicht unverständliche – und zwar auch für arabische Muslime unverständliche – Verse. Eine wesentliche Weiterentwicklung des Islams hat es seit dem Mittelalter nicht gegeben und kann es nicht geben, solange der Koran den Muslimen als wortwörtliche Offenbarung Gottes und nicht als Glaubenszeugnis des Menschen Mohammed gilt.

Auch die Verehrung, die viele Muslime Mohammed entgegenbringen, dürfte Europäern merkwürdig vorkommen, denn Mohammed war in ethischer Hinsicht nach dem Maßstab universaler Menschenliebe kein Vorbild: Er hatte im Alter unbestritten zahlreiche Frauen und Konkubinen. Er soll nach mehreren sehr angesehenen islamischen Quellen seine Frau Aischa als ca. sechsjähriges Mädchen geheiratet und mit dem Kind drei Jahre später die Ehe auch vollzogen haben. Zudem hat Mohammed unzweifelhaft Beutezüge unternommen und Angriffskriege geführt, er hat gemordet bzw. morden lassen. Er hat die Juden in und um Medina bekämpfen, vertreiben und umbringen lassen. Er selbst hat mit der Ausbreitung des Islams durch Eroberungskriege und Zwang statt durch überzeugende Predigt und eigenes vorbildliches Verhalten inklusive Nächsten- und Feindesliebe begonnen.

Weitere Ursachen von Homophobie

Wenden wir uns nach diesem Exkurs einer weiteren wichtigen Ursache von Homophobie und Schwulenhass zu, nämlich den verdrängten homosexuellen Empfindungen etlicher besonders aggressiver Schwulenhasser. Es ist bekannt, dass viele Menschen nicht ausschließlich homo- oder heterosexuell empfinden, sondern in unterschiedlicher Ausprägung bisexuell. Wenn nun ein Jugendlicher oder junger Mann sich nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer interessiert, sich das angesichts der nach wie vor vorhandenen gesellschaftlichen und religiösen Diskriminierung der Homosexuellen aber nicht eingesteht, führt dieser uneingestandene Kampf gegen die eigenen schwulen Empfindungen häufig dazu, dass der Konflikt nach außen verlagert und nicht nur die eigenen schwulen Anteile bekämpft werden, sondern auch jene Menschen, die ihr Schwulsein auszuleben wagen. Besonders häufig gibt es solche Konflikte naturgemäß in der Pubertät, in der die sexuelle Identität endgültig sicht- und fühlbar wird. Unter männlichen Jugendlichen ist deshalb Homophobie besonders weit verbreitet und stark ausgeprägt.

Dass Homophobie tatsächlich durch Abwehr eigener schwuler Anteile verursacht werden kann, wird z. B. durch eine Untersuchung gestützt, die Professor Henry E. Adams im Jahr 1996 an der University of Georgia durchgeführt hat. Dabei wurde festgestellt, dass 54,3% der 35 homophoben Probanden (zum Vergleich: 24,1% der 29 nicht homophoben Probanden) sexuell eindeutig erregt wurden beim Betrachten von Videos, die sexuelle Handlungen zwischen Männern zeigten. An der Untersuchung nahmen insgesamt 64 Männer teil, die sich alle selbst als ausschließlich heterosexuell bezeichnet hatten.7

Schließlich erfüllen Schwule für viele Schwulenhasser die Funktion von Sündenböcken: Die Schwulenhasser verfügen in der Regel nur über ein geringes Selbstwertgefühl und einen niedrigen sozialen Status. Die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Mächtigen wagen sie nicht zu kritisieren. Um sich trotzdem stark und mächtig fühlen zu können, pflegen sie einen ausgeprägten Machismus und drangsalieren – und zwar meistens zu mehreren – zur Selbstbestätigung Personen, die sie für schwächer und minderwertig halten. Das müssen nicht unbedingt Schwule, sondern können z. B. auch Obdachlose oder Farbige oder Behinderte sein.

Gegenmaßnahmen

Das beste Mittel gegen jene Homophobie, die aus Unkenntnis und Unsicherheit Schwulen gegenüber resultiert, ist sicherlich die persönliche Bekanntschaft mit – zumindest halbwegs sympathischen – Schwulen, so wie ja auch das beste Mittel gegen Ausländerfeindlichkeit die persönliche Bekanntschaft mit – zumindest halbwegs sympathischen – Ausländern ist. Allerdings sind Schwule als solche im Gegensatz zu vielen Ausländern nicht äußerlich erkennbar. Das hat zur Folge, dass die meisten Schwulen nicht als Schwule wahrgenommen und schwulenfeindliche Vorurteile nicht im Alltag überprüft und revidiert werden.

Die bekannten Fernseh- und Politschwulen können zwar auch Sympathieträger sein und Vorurteile abzubauen helfen, haben aber sicherlich nicht die gleiche unmittelbare Wirkung wie der dauernde persönliche Kontakt mit Schwulen. Man kann deshalb allen Schwulen, die nicht mit gravierenden und dauerhaften negativen Reaktionen rechnen müssen, nur raten, ihr Schwulsein nicht zu verstecken oder zu verleugnen: Sie tun mit einem solchen Versteckspiel in vielen Fällen weder sich selbst noch anderen einen Gefallen. Jedoch will ich nicht bestreiten, dass es je nach Milieu Ausnahmen gibt und beispielsweise ein schwuler Bauarbeiter oder Dachdecker durchaus Grund zur Vorsicht haben kann.

Die gesellschaftlich bedingte Homophobie, sofern sie aus der Verklärung von Ehe (zwischen Mann und Frau) und Familie (bestehend aus Mann und Frau und Kindern) sowie aus einem Verständnis der Rolle des Mannes als im Konkurrenzkampf gestählten, heldenhaften Ernährers der Familie und der Frau als Hausfrau und Mutter vieler Kinder resultiert, ist durch die Bemühungen um die berufliche und rechtliche Gleichstellung der Frauen und die partielle Wandlung der Männer von Kämpfern, Rivalen und Paschas zu mitfühlenden und einfühlsamen Kollegen und Partnern bereits deutlich geringer geworden. Denn das Aufweichen starrer Geschlechterrollen mindert den Druck auf jene, die diesen Rollen nicht entsprechen. Es ist deshalb zu wünschen, dass sich die Angleichung der Lebenswelten bzw. der beruflichen und privaten Optionen von Männern und Frauen fortsetzt.

Freilich wird die Neigung, vordefinierte Geschlechterrollen einzunehmen, wohl bestehen bleiben: Bereits kleine Kinder definieren sich als Mann oder Frau, sind Cowboy oder Prinzessin –  und das ist ja auch nicht schlimm, sofern den Jungen mit Worten und durch persönliches Vorbild deutlich gemacht wird, dass Gewalt im zivilen Leben nicht akzeptabel ist, und solange die Kinder von Eltern oder Umwelt nicht auf Männer- oder Frauenrollen festgelegt werden, also die Prinzessin später trotzdem z. B. Vorstandsvorsitzende und der Cowboy trotzdem z. B. Kindergärtner werden darf. Auch werden die traditionellen männlichen und weiblichen Körpermerkmale, z. B. ausgeprägte Muskeln beim Mann, bezüglich der sexuellen Ausstrahlung wohl noch lange Zeit von Bedeutung sein, obwohl z. B. körperliche Kraft in evolutionärer Hinsicht beim Menschen inzwischen ziemlich bedeutungslos geworden ist: Für die meisten guten Jobs ist Körperkraft weitgehend irrelevant.

Schwierig kann die Entschärfung von Homophobie und Schwulenhass sein, wenn sie sich aus religiösen oder vorgeblich religiösen Motiven nähren. Das gilt weniger für Katholiken, denn wer als Katholik Sex ohne Trauschein oder Sex zwar innerhalb der Ehe, aber mit Verhütungsmitteln praktiziert oder auch nur befürwortet, verstößt ebenso gegen die orthodoxe katholische Lehre wie jeder praktizierende Schwule, da Sex nach Ansicht der katholischen Amtskirche erstens nur innerhalb der Ehe und zweitens nur ohne Verhütungsmittel gestattet ist. Die meisten Katholiken haben also keinen Grund, Schwule zu diskriminieren, da sie die katholische Sexualmoral selber für unsinnig halten und ignorieren.

Anders verhält es sich bei Muslimen, wenn sie den Koran für die wortwörtliche Offenbarung Gottes halten und die fraglichen Stellen so interpretieren, dass dort jegliches homosexuelle Verhalten verboten wird. Dagegen helfen nur eine Infragestellung der Interpretation oder eine Infragestellung des Charakters des Korans als wortwörtliche Offenbarung Gottes. Überzeugte orthodoxe Muslime wird man dazu aber in der Regel kaum bewegen können. Denn es ist schwer, sich von Normen, die man während der Kindheit und Jugend verinnerlicht hat, zu lösen: So verteidigen z. B. viele Muslimas vehement den Islam, obwohl Frauen im real existierenden Islam massiv benachteiligt werden.

Allerdings dürften bei etlichen muslimischen Jugendlichen und jungen Männern die ideologischen Begründungen für ihren Schwulenhass nur vorgeschoben sein und die eigentlichen Ursachen desselben vielfach eher zum einen in der Unterdrückung eigener schwuler Empfindungen liegen mit der oben beschriebenen Folge der Verlagerung der Hassgefühle auf offen schwul lebende Männer, zum anderen in der Suche nach Schwächeren und vermeintlich Minderwertigen, an denen sie ihren Frust und ihre Wut über die eigene miese Lage gefahrlos und ohne schlechtes Gewissen glauben auslassen zu können und zu dürfen: Bekanntlich gehört ein großer Teil der in Deutschland lebenden Ausländer / Deutschen mit ausländischen Eltern zu den so genannten Bildungsverlierern, ist häufig ohne Schulabschluss, Ausbildung und Arbeit oder hat nur einen schlecht bezahlten Job ohne hohes Sozialprestige. Für viele deutsche Schwulenhasser, insbesondere für viele Rechtsradikale, dürfte die gleiche Diagnose zutreffen.

Für die Akzeptanz eigener schwuler Anteile spielen sicherlich der Grad der Akzeptanz von Schwulen in der Gesellschaft, das Maß von Selbstakzeptanz und Sichtbarkeit von Schwulen in der Öffentlichkeit und im privaten Umfeld sowie die Ausprägung der gesellschaftlichen Rollenbilder von Mann und Frau bzw. die Akzeptanz von Abweichungen von den traditionellen Geschlechterrollen eine Rolle.

Auch der Staat kann die Akzeptanz von Lesben und Schwulen fördern, etwa indem er durchsetzt, dass die Menschenrechte auch innerhalb von religiösen Gemeinschaften geachtet werden müssen, ferner durch eine Ergänzung des Gleichheitsartikels im Grundgesetz sowie durch die völlige Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften von Lesben / Schwulen mit der Ehe: Es gibt keinen vernünftigen Grund, eine kinderlose Ehe gegenüber einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zu privilegieren. Auch durch mehr Aufklärung und Antiaggressionstraining an den Schulen – wozu entsprechende Lehrerfortbildungen notwendig wären – könnte der Staat bzw. könnten die Bundesländer zu einer größeren gesellschaftlichen Anerkennung und zu einer größeren Sicherheit von Schwulen und Lesben vor Gewalttaten beitragen. Schließlich sollte der Staat die Verherrlichung von Gewalt und Aufrufe zu Gewalttaten stärker und systematisch sanktionieren. Insbesondere halte ich es für inakzeptabel, dass Menschen damit – z. B. im Musik-, Film-, Funk-, Fernsehen- oder Pressegeschäft oder mit einschlägigen Computerspielen – Geld verdienen dürfen.

Gegen die handgreifliche Degradierung von Schwulen, aber auch Farbigen, Obdachlosen, Behinderten oder sonstigen als schwach eingeschätzten Angehörigen von Minderheiten zu Sündenböcken durch schulisch / beruflich und sozial deklassierte, oft auch noch unter Anwendung von Gewalt oder auch gar nicht erzogene Jugendliche und junge Männer helfen langfristig jene Maßnahmen, die ich bereits in früheren Texten wie Freiheit statt Solidarität? Welchen Staat wollen wir? oder Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? angesprochen habe: Der Staat muss darauf achten, dass Kinder gewaltfrei und geliebt aufwachsen, dass alle Bürger eine gute vorschulische, schulische und berufliche Bildung / Ausbildung erhalten, dass sie gemäß ihren Fähigkeiten und Wünschen (berufs)tätig sein und dabei ein angemessenes Einkommen erzielen können, dass jeder Bürger gegen die großen Lebensrisiken wie Krankheit und Arbeitsplatz- bzw. Einkommensverlust versichert ist. Denn wer mit seinem Leben zufrieden ist, hasst nicht.

Freilich braucht man, um zufrieden zu sein, nicht nur materielle Güter, sondern z. B. in der Regel auch stabile soziale Beziehungen, Selbstbestimmungsrechte sowie Freiheit von Gier und Geltungsdrang. Dafür ist der Staat nur zum Teil zuständig. Darauf zu vertrauen, dass Familien und Wirtschaft es schon ganz allein – ohne Hilfen und Regeln staatlicherseits – richten werden, ist gleichwohl fahrlässig und weltfremd.

1 Vgl. Sie zur Homophobie an Schulen und zu möglichen Gegenmaßnahmen z. B. das Buch "Sexuelle Vielfalt lernen. Schule ohne Homophobie" von Lutz van Dijk u. Barry von Driel (Hrsg.), Querverlag, Berlin 2008, sowie die Website http://www.schwulelehrer.de/.

2 Eine plausible Erklärung bietet Joan Roughgarden, die Homosexualität als Beitrag zur Stabilisierung von Gemeinschaften begreift und ihre These mit vielen Beispielen untermauert. Vgl. Sie dazu u. a. den Artikel Vom Sinn der Homosexualität. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind keine Sackgasse der Evolution, sondern der soziale Kitt vieler Tiergemeinschaften in: Spektrum der Wissenschaft, Februar 2005. Als wahrscheinlich darf ferner inzwischen gelten, dass Homosexualität biologische und nicht psychologische Ursachen hat, die allerdings bislang zwar mit guten Gründen vermutet werden, aber nicht bewiesen sind. Nachtrag von 2020: Einen Überblick über die diversen Erklärungsversuche und Forschungsergebnisse bietet u. a. https://www.scinexx.de/dossier/homo-bi-oder-hetero/.

3 Vgl. Sie zur Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität z. B. den Wikipedia-Artikel Homosexualität und römisch-katholische Kirche sowie die Website der AG HuK.

4 Sure 4, Verse 15 und 16: "Wenn welche von euren Frauen eine ‘Schandbarkeit’ (oder ‘etwas Abscheuliches’, fâhischa) begehen, so nehmt vier von euch zu Zeugen gegen sie, und wenn sie es bezeugen, so schließt sie ein in die Häuser, bis der Tod ihnen naht oder Gott ihnen einen Ausweg verschafft. Und diejenigen, die es von euch begehen, straft beide. Wenn sie aber bereuen und sich bessern, so lasst ab von ihnen, denn Gott ist vergebend und barmherzig." Das Zitat ist dem Artikel Islam und Homosexualität – eine differenzierte Betrachtung von Andreas Ismail Mohr entnommen. Vom gleichen Autor: Ein schwieriges Verhältnis: Homosexualität und Islam. Was sagt der Koran dazu?

5 Vgl. Sie zur Einordnung des Korans in seine Entstehungszeit und sein kulturelles Umfeld z. B.: Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike, Verlag der Weltreligionen im Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, sowie: Katajun Amirpur, Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte, Verlag C. H. Beck, München 2013.

6 Sure 5, Vers 33: "Der Lohn derer, die gegen Allah und seinen Gesandten Krieg führen und (überall) im Land eifrig auf Unheil bedacht sind (? yas`auna fie l-ardi fasaadan), soll darin bestehen, dass sie umgebracht oder gekreuzigt werden oder dass ihnen wechselweise (rechts und links) Hand und Fuß abgehauen wird oder dass sie des Landes verwiesen werden. Das kommt ihnen als Schande im Diesseits zu. Und im Jenseits haben sie (überdies) eine gewaltige Strafe zu erwarten." (Übers. Rudi Paret)

7 Henry E. Adams, Lester W. Wright, Jr., und Bethany A. Lohr: Is Homophobia Associated With Homosexual Arousal?, Journal of Abnormal Psychology, 1996, 105 (3), 440-445.

Links

3+ (Aufruf für eine Ergänzung des Gleichheitsartikels im Grundgesetz)
Amnesty International – Sektionskoordinationsgruppe MERSI
Homosexuelle und Kirche (HuK)1
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)
Maneo – das schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin
Homosexualität und Migrationsfamilien
Amin Klaus Waltter: Islam und Homosexualität, Beitrag auf http://www.muslimische-stimmen.de
 

Entstehungsjahr: 2007